Diskussion zur MINUSMA – Bundeswehr raus aus Mali

Für eine Fortsetzung der Diskussion zum Mali-Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der UN-Mission MINUSMA.

Diskussionsbeitrag der IMI (Informationsstelle MilitarisierungTübingen)

IMI-Analyse 2020/21

Wer Militäreinsätze unterstützt, muss sich auch für deren Dynamiken interessieren

Konkrete Fragen zu den Forderungen von Afrique-Europe-Interact an die Bundesregierung

von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 20. April 2020

Drohende Ausweitung der Bundeswehr-Einsätze in Mali

Bereits im November 2019 hatte die deutsche Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer für das Frühjahr 2020 eine Debatte über eine Ausweitung der Bundeswehr-Einsätze in Mali und den umliegenden Staaten angekündigt.1 Tatsächlich steht spätestens im Mai die Verlängerung der Mandate für die Beteiligung an der EU-geführten EU-Trainingsmission EUTM Mali und der UN-geführten Mission MINUSMA im Bundestag an. Dazwischen hat v.a. Frankreich, das im Rahmen seiner unilateralen Operation Barkhane allein im November 2019 13 Soldaten beim Absturz zweier Hubschrauber in Mali verloren hatte, den Druck auf seine europäischen „Partner“ erhöht, ihr militärisches Engagement in der Region zu verstärken. Am 23. März hat dann die Europäische Union ihr Mandat für den EUTM-Einsatz um ganze vier Jahre verlängert und räumlich wie inhaltlich erweitert.2 Deutschland ist sowohl am EUTM-Einsatz, wie auch an der Mission MINUSMA in zentraler Funktion beteiligt. Die aktuelle Mandatsobergrenze für die Beteiligung der Bundeswehr an EUTM beträgt 350 bei einem aktuellen Gesamtumfang von 745. Bei MINSUSMA können aktuell bei einem Gesamtumfang von nahezu 14.000 Kräften bis zu 1.100 Soldat*innen der Bundeswehr eingesetzt werden, die mit sog. „Hochwertfähigkeiten“ – strategischem und taktischem Lufttransport, Aufklärung u.a. mithilfe von Heron-I-Drohnen und in der Vergangenheit auch Kampfhubschraubern – ein Rückgrat der Mission stellen.

Die Stellungnahmen von Afrique-Europe-Interact

Im Vorfeld der anstehenden Verlängerung und vermutlich auch Ausweitung der deutschen Mandate haben sich auch Aktivist*innen des Netzwerks Afrique-Europe-Interact in diese Debatte eingeschaltet und zunächst am 13. Januar als Sachverständige an einer Ausschusssitzung des Bundestags zu MINUSMA teilgenommen und am 16. Februar einen „offenen Brief an die Bundesregierung“ formuliert, der anschließend als Ausschussdrucksache an den Auswärtigen und den Verteidigungsausschuss weitergeleitet wurde. Sowohl im Entwurf der Stellungnahme als auch im „offenen Brief“ betonen Afrique-Europe-Interact bzw. deren „Mali-AG“, „dass der Konflikt in Mali primär nicht militärisch lösbar ist“, da es sich „im Kern … um politische, ökonomische und soziale Konflikte“ handele. Entsprechend fordern sie verstärkte Maßnahmen der „zivilen Konfliktbearbeitung“ und der Entwicklungszusammenarbeit. Gleichzeitig stellen sie MINUSMA explizit nicht in Frage, sondern verweisen auf (angebliche) Erfolge der Mission, die jedoch ein „Akzeptanzproblem“ habe. Deshalb schlagen sie eine „Weiterentwicklung“ der Mission vor. Diese Weiterentwicklung soll unter anderem dazu dienen, „Frankreich einzuhegen“, das mit seiner Mission zur Bekämpfung des Terrorismus zunehmend Unmut unter der Zivilbevölkerung hervorrufe, der auf MINUSMA abfärbe und damit eine wesentliche Ursache des „Akzeptanzproblems“ der UN-Mission sei. Die Notwendigkeit einer militärischen Bekämpfung des Terrorismus in der Region stellen sie jedoch ebenso wenig in Frage, wie die Notwendigkeit der Präsenz der MINUSMA zum „Schutz der Zivilbevölkerung“ und als „Garanten der Fortsetzung des Friedensprozesses“. Deshalb solle entweder MINUSMA „selber in den Anti-Terrorkampf ein[steigen]“ – was allerdings „auch extreme Gefahren“ berge – oder „der Antiterrorkampf wird auf die G5 schrittweise übertragen – mit enger Unterstützung durch westliche Kräfte, inklusive Frankreich“.3 Deshalb müsse „an die G5-Länder Ausrüstungshilfe gewährt werden (insbesondere an Mali, Burkina Faso und Niger)“ und sei „eine umfassende Ausbildung der G5-Truppen zu gewährleisten“.4 Erstaunlicherweise gehen beide Texte mit keiner Silbe auf die EU-Trainingsmission ein, die eben jene Ausbildungs- und Ausrüstungshilfe bereits seit 2013 für die malische Armee und seit einigen Jahren und mit dem neuen Mandat vom März 2020 verstärkt auch für die Truppen der anderen G5-Staaten zum Inhalt hat. Auch die Frage, wer eine militärische Terrorbekämpfung in einem Gebiet von den Ausmaßen Europas finanzieren soll, wird allenfalls indirekt mit dem Verweis auf „Ausrüstungshilfe“ und „enge Unterstützung durch westliche Kräfte, inklusive Frankreich“ adressiert.

Hinsichtlich der Einschätzung, dass die Grundlage der Konflikte in Mali primär „politische, ökonomische und soziale“ Ursachen haben, räumt der Sachverständige von AEI zu Recht ein, dass „diese Feststellung weder neu noch originell ist“. Tatsächlich decken sich die hier formulierten Kritikpunkte und Reformvorschläge darüber hinausgehend mit jenen der Bundesregierung und der ihnen nahestehenden Denkfabriken.5 Im „Bericht der Bundesregierung zur Lage und zum deutschen Engagement in Mali/Sahel zur Unterrichtung des Deutschen Bundestags“ vom März 2020 werden unter der Überschrift „Ausblick auf das künftige Engagement / Konsequenzen aus der verschlechterten Sicherheitslage“ vor allem zivile Maßnahmen genannt,6 die es allerdings militärisch abzusichern gelte:

„Alle genannten Maßnahmen zur Bekämpfung der Ursachen von Gewalt und Terrorismus können nur durchgeführt werden, wenn ein ausreichend sicheres Umfeld gegeben ist. Das ist derzeit in Teilen der Region nicht der Fall. … Neben einer stärkeren Gewährleistung von Sicherheit für die malische Bevölkerung durch internationale militärische Präsenz sind auch die internationalen Ausbildungs- und Ausstattungsanstrengungen für malische Sicherheits- und Streitkräfte effektiver auszugestalten, damit diese stärker Verantwortung für die Sicherheit des Landes übernehmen können. Dies gilt grundsätzlich auch für Burkina Faso und Niger. Vor diesem Hintergrund prüft die Bundesregierung derzeit auch eine Ausweitung ihres militärischen Sahel-Engagements im Gleichklang mit internationalen Partnern“.7

Kritik und Vorwürfe

Da sich mit Afrique-Europe-Interact eine zu Recht anerkannte Gruppe aus der außerparlamentarischen Linken mit ziemlich konkreten Forderungen zum militärischen Engagement an die Bundesregierung und den deutschen Bundestag gewandt hat, hielten wir von der Informationsstelle Militarisierung (IMI) einen Widerspruch für notwendig.8 Unter dem Titel „Grundsätzliches Missverständnis der deutschen Außenpolitik in Mali“ veröffentlichte die IMI eine Kritik am „Phantasma militärisch gestützter Selbstermächtigung“. Dieses bestehe u.a darin, „die Möglichkeiten (externer) militärischer Interventionen und deren Kontrollierbarkeit maßlos zu überschätzen“ und „sich eine G5-Sahel-Truppe herbeizuphantasieren, die mit selbstloser Finanzierung und Führung Deutschlands, Frankreichs und der EU grenzüberschreitend und menschenrechtskonform den Terror bekämpft und so das Umfeld einer ‚basisdemokratischen Selbstermächtigung‘ schafft“.

AEI bzw. deren „Mali-AG“ reagierte gereizt. Nach Twitter-Meldungen und bösen Emails erreichte uns eine „Kurze Reaktion auf [die] Polemik von Christoph Marischka“. Demnach sei es „ärgerlich“ … „dass sich Christoph Marischka von der Informationsstelle Militarisierung ‚IMI‘ aus Tübingen am 16. März 2020 zu einer Polemik … hat hinreißen lassen“. Auf unsere Kritik reagierte die „Mali-AG“ von Afrique-Europe-Interact v.a. mit drei Vorwürfen:

* „Erstens entstellt Christoph Marischka die Stoßrichtung unserer Erklärung bis zur Unkenntlichkeit…“

* „Zweitens lässt Christoph Marischkas Erklärung in nahezu jeder Zeile erkennen, dass er von den konkreten Konflikten und sozialen Realitäten in Mali bzw. im Sahel nicht den blassesten Schimmer hat…“

* „Drittens … dass er noch nicht einmal in Ansätzen im Austausch mit Menschen in Sahelländern steht“.

Stellungnahme zu den Vorwürfen der „Mali-AG“

Zum ersten Vorwurf kann sich Jede*r Interessierte durch die Lektüre der Texte ein eigenes Bild machen. Zu sagen ist an dieser Stelle nur, dass die Feststellung, wonach eine Situation nicht allein oder primär militärisch lösbar wäre, der offiziellen Einschätzung der Bundesregierung zu jedem einzelnen Konflikt entspricht, in den sie militärisch interveniert und seit 2006 unter dem Begriff des „vernetzten Ansatzes“ sogar offizielle Grundlage der Einsatzdoktrin der Bundeswehr ist.9 Im sicherheitspolitischen Diskurs der Bundesrepublik hat sich diese Feststellung de facto zu einer Chiffre FÜR die Forderung nach Auslandseinsätzen der Bundeswehr entwickelt. Wenn die „Mali-AG“ in ihrer Reaktion auf die Kritik der IMI behauptet,10 dass sie sich „in der ‚Höhle des Löwen‘ (Bundestag) für nicht-militärische Vorgehensweisen ins Zeug legen“ würde, erscheint das allemal zweifelhaft. Die Position, zwar mehr zivile Maßnahmen einzufordern, während grundsätzlich die Notwendigkeit einer internationalen militärischen Präsenz, Ausbildungs- und Ausstattungshilfe unterstrichen wird, ist jedenfalls ebenso wenig ein Plädoyer für eine „nicht-militärische Vorgehensweise“, wie die Feststellung, dass ein Konflikt nicht primär militärisch lösbar wäre.

Auf den zweiten und den dritten Vorwurf möchte ich hier zusammen eingehen, wonach der Autor „von den konkreten Konflikten und sozialen Realitäten in Mali bzw. im Sahel nicht den blassesten Schimmer hat“ und „noch nicht einmal in Ansätzen im Austausch mit Menschen in Sahelländern steht“. Tatsächlich ist AEI, was Kontakte in die Region angeht, sicherlich besser aufgestellt, als die Informationsstelle Militarisierung. Dass die „Mali-AG“ hieraus aber einen Anspruch ableitet, weitgehend unwidersprochen „die konkreten Konflikten und sozialen Realitäten in Mali bzw. im Sahel“ in der vermeintlich erwünschten Debatte hierzulande abzubilden, ist bereits fragwürdig. Besonders fragwürdig ist allerdings, dass und wie sie dabei immer wieder ein gesamtgesellschaftlichen Konsens in Mali suggeriert, als dessen Stellvertreter sie hier auftritt. Dazu einige Beispiele:

Im offenen Brief an die Bundesregierung wird zunächst der Eindruck erweckt, dass in Mali eine recht einheitliche Wahrnehmung der Konfliktgeschichte bestehe. „Wissenschaftler*innen, Vertreter*innen der Opposition und Angehörige der Zivilgesellschaft im Sahel sind sich einig, dass schlechte Regierungsführung und die Schwäche staatlicher Strukturen zentrale Faktoren in der aktuellen Krise sind (zusammen mit ungünstigen Rahmenbedingungen wie Klimawandel, globaler Ungleichheit etc.)“. Die „Lesart“, wonach „sich die Krise schrittweise ins Zentrum Malis ausgeweitet“ oder „die Präsenz ausländischer bzw. westlicher Truppen die Dschihadisten erst stark gemacht hätte“, liege zwar „für Außenstehende nahe, wird aber in Mali in dieser Form kaum geteilt“. Stattdessen werde „MINUSMA als Stabilitätsanker geschätzt“, ihre „Erfolge sind nach unserem Eindruck relativ unstrittig, auch die große Mehrheit der malischen Bevölkerung sieht das so“. Darüber hinaus „dürfte es in Mali mittlerweile Konsens sein, dass der Antiterrorkampf zum jetzigen Zeitpunkt zwar nicht ohne externe Hilfe geführt werden kann (und alles spricht dafür, dass die dschihadistischen Kräfte das Feld kurz- und mittelfristig nicht kampflos räumen werden), dass aber schnellstmöglich ein Transitionsprozess einzuleiten ist, an dessen Ende die Verantwortung für Kampfeinsätze ausschließlich bei der Regionalorganisation G5 liegt (Burkina Faso, Mali, Mauretanien, Niger und Tschad)“. Dass die Idee, „die Verantwortung für Kampfeinsätze“ an die erst vage ausgestaltete Regionalorganisation G5 zu übertragen in der malischen Bevölkerung „Konsens“ sein sollte, ist selbst dann mehr als gewagt, wenn man die „dschihadistischen Kräfte“ – wie hier geschehen – aus der Bevölkerung ausklammert. Tatsächlich stammen viele ihrer Angehörige aus dem Ausland, AEI räumt aber in derselben Stellungnahme ein, „dass dschihadistische, separatistische und kriminelle Organisationen mittlerweile über eine durchaus beachtliche Verankerung in Teilen der Bevölkerung verfügen“.

Auch im Entwurf der Stellungnahme für die Ausschusssitzung heißt es etwa zu MINUSMA, dass die Mission „erheblichen Anklang in der Bevölkerung gefunden“ habe. Zugleich werde „MINUSMA von der Bevölkerung auch massiv kritisiert.“ Unter anderem werde „die Kooperation mit Unterzeichnern des Friedensvertrags, die aber auch als bewaffnete Gruppen agieren, von der Bevölkerung abgelehnt“. Außerdem werde „MINUSMA zunehmend als eine Art Juniorpartner der französischen Anti-Terorr-Operation Barkhane betrachtet“, während „Barkhane von der Bevölkerung nicht als neutral empfunden wird.“ Ein Problem sei, dass „die Bevölkerung bis heute die Inhalte des Friedensvertrags kaum kennt, den Friedensprozess also nicht als etwas begreift, was mit ihr zu tun hat (Stichwort: Ownership).“

In Ihrer Reaktion auf die Kritik der IMI schreibt die Mali-AG, „mensch“ könne „in Mali kaum jemand finden, die*der einen sofortigen Abzug von MINUSMA fordern würde. Die Leute vertreten vielmehr eine Art Dreifachforderung: Erstens die sofortige Verbesserung der sozialen Lage der Bevölkerung […] ; zweitens Abzug all jener ausländischen Truppen, die in erster Linie imperiale Interessen vertreten […]; und drittens Stärkung nationaler Sicherheitskräfte und Armeen, um die Bevölkerung effektiv vor gewaltsamen Angriffen seitens dschihadistischer und anderer Gruppen zu schützen […]“. Auch hier wird den „Leuten“ in Mali ein sehr weitgehender Konsens über ein umfangreiches politisches Programm unterstellt. Dieses nimmt Afrique-Europe-Interact zum Anlass, sich mit „eine[r] realpolitische Stellungnahme“ an die Bundesregierung zu wenden, die sich „auch mit dem Umstand auseinander[setzt], dass unter den gegebenen Bedingungen auf militärische Gewalt gegen bewaffnete (dschihadistische) Gruppen nicht gänzlich verzichtet werden kann.“ Dies sei AEI „nicht einfach gefallen“. Es entspräche jedoch den Erwartungen ihrer „Mitstreiter*innen in Mali, dass wir uns eindeutig positionieren, und eindeutig heißt in diesem Fall vor allem: unter Berücksichtigung der von ihnen – die in dieser Region leben – formulierten Einschätzungen.“ Deshalb habe man sich entschlossen „hierzulande auch realpolitisch [zu] intervenieren, also auch Briefe an die handelnde Politik verfassen, die aus konkreten Handlungsempfehlungen bestehen, sich aber in Sachen linker Welterklärung bzw. linkem Jargon zurückhalten (einfach, weil ansonsten niemand im etablierten Politikbetrieb zuhören würde).“ „[S]pätestens im Juni“ wolle AEI jedoch „eine ergänzende Stellungnahme“ veröffentlichen, welche auch die internen Konflikte um diese Forderungen widerspiegele.

Dann allerdings müssen die Mandate der Bundeswehr bereits verabschiedet sein.

Fragen statt Polemik

Die Kritik der Informationsstelle Militarisierung wird von der Mali-AG als solche gar nicht anerkannt, sondern zu einer „Polemik“ erklärt. Entsprechend besteht im Grunde das einzige Argument in der „Reaktion“ der Mali-AG in der persönlichen Diffamierung des Autors der Kritik: Wer nicht über so gute Kontakte in die Region verfügt, könne hierzu keine Stellungnahme abgeben. Wie gesagt, die IMI ist diesbezüglich nicht so gut aufgestellt wie AEI. Die Informationsstelle Militarisierung verfolgt allerdings seit bald 25 Jahren kritisch die außenpolitische Strategieentwicklung Deutschlands, der EU und der NATO; die Strukturen, Mutationen und Folgen von Militäreinsätzen, Rüstungsexporten und auch der sog. „Politik der Ertüchtigung“, also der militärischen Ausbildungs- und Ausstattungshilfe. Ein langjähriges Thema der IMI ist die Präsenz rassistischer und kolonialistischer Wahrnehmungsmuster und rechtsextremer Netzwerke in der Bundeswehr und in den letzten Monaten haben wir uns auch verstärkt mit dem Beitrag des Militärs und seiner Logistik zum Klimawandel beschäftigt. Über all diese Jahre waren wir immer wieder mit Versuchen der Bundesregierung konfrontiert, ihre primär bündnispolitisch und damit verwoben machtpolitisch motivierten Militäreinsätze mit humanitären Diskursen wie dem Schutz der Zivilbevölkerung oder der Unterstützung von Demokratiebewegungen zu legitimieren. Wir haben auch mehrfach erlebt, wie diese Diskurse in den Zivilgesellschaften der Einsatzländer entsprechende Hoffnungen auf eine schnelle Lösung geweckt und auch in der hiesigen Gesellschaft Unterstützung für diese Einsätze mobilisiert haben. Selten allerdings haben wir erlebt, dass sich eine Gruppe aus der außerparlamentarischen Opposition so pro-aktiv und mit so konkreten Forderungen zur Ausgestaltung militärischer Einsätze an die Bundesregierung gewandt hat.

Insofern sind wir durchaus der Auffassung, dass wir etwas zur Debatte um die Einsätze der Bundeswehr in Mali beizutragen haben. In unserer ursprünglichen Kritik sprachen wir von einem „gerade in linken und militär-fernen Kreisen oft anzutreffenden, grundsätzlichen Missverständnis militärischer Politik. Dieses besteht kurz gesagt darin, die Möglichkeiten (externer) militärischer Interventionen und deren Kontrollierbarkeit maßlos zu überschätzen. Die ursprüngliche Annahme, dass die malische Armee mit etwas externer Unterstützung den Norden zurückerobern und die Grundlage für eine dauerhafte Befriedung legen könnte, ist ein Beispiel von vielen. Die jetzige Annahme, dass einige hundert deutsche Soldaten und einige tausend afrikanische Verbündete in einem Gebiet mit den Ausmaßen Westeuropas flächendeckend die Zivilbevölkerung schützen könnten, dabei nicht als ‚Besatzungsmacht‘ wahrgenommen werden, eigene (Partikular-)Interessen verfolgen und bestehende Konflikte eskalieren und zugleich noch die Rahmenbedingungen für eine demokratische Friedenslösung vielfältiger und komplexer Konflikte schaffen, ist ein weiteres Beispiel. Die maßlose Überschätzung militärischer Fähigkeiten verbunden mit der Verleugnung der Interessen, die ihrem Einsatz zugrunde liegen, führt dann zur Hoffnung, über die Bundesregierung das Militär als Hebel zur Durchsetzung eigener Interesses zu phantasieren.“

Auf diese Kritik wurde von der „Mali-AG“ von AEI in keiner Weise eingegangen, da sie die Kritik als Polemik deklarierte und ihrerseits mit Vorwürfen reagierte. Um einen konstruktiveren Umgang mit unserem Dissens zu ermöglichen, wollen wir hier konkretere Fragen formulieren:

(1) Wie bewertet die Mali-AG die Tatsache, dass gerade Ausbildungs- und Ausstattungshilfe in Drittstaaten mit bewaffneten Konflikten typischerweise Aufgabe von Spezialkräften ist, deren besondere Affinität zu rassistischem und nationalsozialistischen Gedankengut zumindest in Deutschland offenkundig ist? Wie bewertet AEI die entsprechenden Aktivitäten der US-Army und die deutsche Operation „Gazelle“ in Niger, die wesentlich darauf abzielen, mit Spezialkräften aus den USA bzw. Deutschland, Einsatzkräfte der G5-Truppe aufzubauen? Wie bewertet die Mali-AG vor diesem Hintergrund Berichte über Menschenrechtsverletzungen, die bereits jetzt bei Einsätzen der G5-Sahel-Truppe berichtet werden?

(2) Welche Ressourcen sollen die G5 zur militärischen Bekämpfung des „Dschihadismus“ in einem Gebiet zur Verfügung stellen bzw. zur Verfügung gestellt bekommen, das von der afrikanischen Atlantikküste bis in den Tschad reicht? Wie viele Kampf- und Transporthubschrauber, Flugplätze, taktischer Lufttransport und Aufklärungsdrohnen sind dafür nach Auffassung der Mali-AG nötig bzw. angemessen und wie soll dies aus den nationalen Haushalten der betreffenden Staaten bzw. internationaler Unterstützung finanziert werden?

(3) Gibt es nach Auffassung der Mali-AG einen Zielkonflikt zwischen der angestrebten Stärkung staatlicher Strukturen und der Stärkung der Menschenrechte einerseits und dem Transfer der Terrorismusbekämpfung an eine Staatengemeinschaft wie die G5-Sahel anderseits, an der Regierungen beteiligt sind, die diktatorischen Charakter haben? Kann dieses Problem durch eine „umfassende Ausbildung der G5-Truppen … insbesondere in Menschenrechtsfragen und deeskalativem Vorgehen“ durch europäische Soldaten behoben werden? In welchem Zeitraum hält die Mali-AG eine solche Umstrukturierung des Sicherheitssektors gleich mehrerer formal souveräner und postkolonialer Staaten – wenn überhaupt – für realisierbar? An welchen erfolgreichen entsprechenden Einsätzen sollte sich der Aufbau der G5-Sahel-Truppe orientieren?

(4) Im März 2020 erweiterte der Europäische Rat das Mandat der EUTM dahingehend, dass die eingesetzten europäischen Kräfte „den malischen Streitkräften militärische Beratung, Ausbildung einschließlich einsatzvorbereitender Ausbildung, Schulung und Mentoring durch Begleitung ohne Exekutivbefugnisse bis zur taktischen Ebene zur Verfügung“ (also in unmittelbarer Nähe zum Gefechtsfeld) stellen sollen, auch um zu gewährleisten, dass die EUTM Mali in der Lage ist, die „Tätigkeiten der malischen Streitkräfte zu verfolgen und ihre Leistung und ihr Verhalten — auch im Hinblick auf die Achtung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts — zu überwachen.“ Inwiefern entspricht dies den Forderungen und Wünschen der Mali-AG? Wie bewertet die Mali-AG die Mission EUTM und ihre Ausweitung auf die Nachbarstaaten grundsätzlich und in welchen Punkten widersprechen Mandat und Ausgestaltung der EUTM den Forderungen der Mali-AG?

(5) Wie bewertet die Mali-AG die von ihr wiedergegebene Kritik, dass bei MINUSMA „zu viele Ressourcen in den Eigenschutz bzw. die Eigenversorgung gingen (nach unterschiedlichen Schätzungen 70 bis 80 Prozent)“,11 welchen Anteil hält sie für nachvollziehbar und legitim und welche Ressourcen und Truppenstärke hält sie entsprechend für notwendig, um den angestrebten, flächendeckenden Schutz der Zivilbevölkerung zu realisieren?

(6) Welche Motivation liegt nach Auffassung der Mali-AG der Bereitschaft der truppenstellenden Staaten zugrunde, umstrittene Auslandseinsätze ihrer Armeen zu finanzieren und dabei tw. umfangreiche Opfer (z.B. Tschad bislang über 60) in Kauf zu nehmen?

(7) Inwiefern könnte die von ihr kritisierte Operation Barkhane der französischen Armee ohne die flächendeckende Präsenz und Infrastruktur von MINUSMA in dieser Form stattfinden und wäre nach Ansicht der Mali-AG eine Aufrechterhaltung von MINUSMA ohne Barkhane – die außerhalb des MINUSMA-Mandates den „Terror“ bekämpft – auf Dauer aufrechtzuerhalten?

(8) Inwiefern hält die Mali-AG von AEI es für realistisch, dass die Bundesregierung durch ein umfassenderes Engagement in Mali Frankreich „einhegt“, obwohl eine verstärkte deutsche Truppenpräsenz der explizite Wunsch der französischen Außenpolitik ist und hält es die Mali-AG für wünschenswert bzw. realistisch, dass innereuropäische Konflikte in Form von Truppenentsendungen nach Westafrika ausgetragen werden?

(9) Warum nennt die Mali-AG die Präsenz russischer Militärberater und „Verträge zur Erneuerung des militärischen Geräts“ durch Russland, sowie einen „gewissen Russland-Hype“ als Teil des „Akzeptanzproblems“ der MINUSMA, wo die Mali-AG doch grundsätzlich von der Notwendigkeit von Ausbildungs- und Ausstattungshilfe für die Streitkräfte der Region überzeugt ist?

(10) Die Mali-AG nennt den Klimawandel als eine Ursache der Konflikte in Mali. Wie bewertet die Mali-AG vor diesem Hintergrund den Beitrag einer umfassenden militärischen Logistik und Rüstungsproduktion, die Voraussetzung für eine vornehmlich von Europa aus getragenen Ausbildungs- und Ausstattunghilfe sind, zur weiteren Verschärfung des Klimawandels?

(11) In ihrem offenen Brief an die Bundesregierung schreibt Afrique-Europe-Interact abschließend: „Die EU-Migrationspolitik ist ein eigenständiges Politikfeld, deshalb möchten wir an dieser Stelle nicht näher darauf eingehen. Grundsätzlich möchten wir allerdings dringend empfehlen, Abstand von der restriktiven Migrationspolitik zu nehmen.“ Wie bewertet Afrique-Europe-Interact die Einschätzung u.a. der Forschungsstelle Flucht und Migration, dass es sich bei der auszurüstenden und auszubildenden G5-Sahel-Truppe um „Grenztruppen zur Verhinderung von Migrationen in europäischem Auftrag“12 handelt und wie sollte dies zu verhindern sein, wenn „die EU-Migrationspolitik“ als „eigenständiges Politikfeld“ aus der Diskussion um die Weiterentwicklung der MINUSMA zur Ausbildung und Ausrüstung der G5 ausgeklammert wird?

Zur militärischen Schaffung politischer Räume

Afrique-Europe-Interact haben in ihren Stellungnahmen verschiedene eigene Texte zur Lektüre empfohlen. Wir lesen diese Texte gerne und mit Gewinn, weil sie abgesehen von so mancher Verallgemeinerung über die Meinung „der Bevölkerung“ bzw. der „Leute“ einen guten Eindruck von der Situation in Mali, manchen Konfliktdynamiken und auch den Einschätzungen und Aktivitäten mancher Bevölkerungsgruppe geben. Auch wir wollen aber insbesondere der Mali-AG hier abschließend einen Lektürehinweis geben: Unter dem Titel „Counterinsurgency governance in the Sahel“ weist Bruno Charbonneau auf die koloniale Ideengeschichte der internationalen militärischen Interventionen im Sahel hin.13 Er kritisiert dabei die Vorstellung, militärische Operationen „als technische Aktivitäten jenseits der politischen Sphäre wahrzunehmen, welche die Schaffung eines Raumes und eines Zeitfensters für politisches Handeln ermöglichen. Stattdessen muss militärische Strategie in ihren Handlungsweisen und politischen Folgen betrachtet werden – zumindest, wenn man ihre Fehler und ihr Scheitern im Sahel verstehen will“: „Militärische Operationen (und Entwicklung) konditioniert die Mehrheit der – wenn nicht gar alle – nationalen Machtverhältnisse: Verhandlungen und Allianzen zwischen den Eliten, Patronageverhältnisse, Mehrparteiensysteme, das Ressourcenmanagement, die Entwicklung und Konsolidierung von Regierungsinstitutionen, Verfassungsreformen und mehr“. Militärische Interventionen tragen dazu bei, dass all diese Rahmenbedingungen wesentlich von Paris, Berlin und Brüssel aus gesetzt werden.

Anmerkungen

1 „Debatte über mehr Bundeswehr-Engagement in Mali nicht vor Frühjahr 2020“, https://augengeradeaus.net vom 25.11.2019.

2 Das neue Mandat findet sich unter https://eur-lex.europa.eu. Zu einer ersten Einordnung siehe: Christoph Marischka: „EU-Mandat ausgeweitet, Zweck unklar – Das Geflecht militärischer Interessen und Akteure in Mali mutiert weiter“, IMI-Analyse 2020/16.

3 Soweit alle Zitate aus dem Entwurf der Stellungnahme vom 13. Januar, veröffentlicht unter https://afrique-europe-interact.net/1836-0-Beteiligung-an-Ausschusssitzung-Bundestag-01-2020.html.

4 So der „Offene Brief von AEI an Bundesregierung und Bundestag“ vom 16. Februar, veröffentlicht unter https://afrique-europe-interact.net/1852-0-Brief-an-Bundesregierung-02-2020.html.

5 Bemerkenswert ist allerdings, dass sich seit Beginn der Mali-Intervention 2013 und in ihrem Verlauf auch immer mehr regierungsnahe Denkfabriken zunehmend skeptisch gegenüber der zunehmenden Militarisierung der Region zeigen.

6 „Terroristischen Ideologien entgegentreten“, „Vertrauen in staatliche Strukturen stärken“, „Entwicklungs- und Beschäftigungsperspektiven schaffen“, „Die Widerstandsfähigkeit der Bevölkerung gegen Krisen, Klimaschocks und Instabilität erhöhen“, „Umsetzung des Friedensabkommens von Algier“. Zu finden in einer gekürzten Fassung als Drucksache des Bundestages unter: https://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/180/1918080.pdf.

7 Bericht der Bundesregierung zur Lage und zum deutschen Engagement in Mali/SahelAktuelle Lage, Ziele und Handlungsfelder des deutschen Engagements, Bundestags-Drucksache 19/18080.

8 Sowohl dieser Text wie auch die ursprüngliche Kritik an den Forderungen von AEI stammen zwar vom genannten Autor, sind allerdings innerhalb der IMI zuvor ausführlich und auf verschiedenen Ebenen diskutiert worden und fanden breite Zustimmung.

9 Im Weißbuch der Bundeswehr von 2006, das wesentlich unter dem Eindruck des Einsatzes in Afghanistan entstand, heißt es etwa: „Im heutigen Einsatzumfeld müssen neben rein militärischen zunehmend politische, humanitäre, wirtschaftliche und kulturelle Aspekte berücksichtigt werden. Im Einsatz ergibt sich daraus die Notwendigkeit einer vernetzten Zusammenarbeit mit militärischen wie zivilen Akteuren im nationalen und internationalen Rahmen, um diesen Anforderungen gerecht zu werden“. Im Weißbuch von 2016 wurde die Weiterentwicklung des Leitbildes der „vernetzten Sicherheit“ zu einem „Ertüchtigungsansatz“ anvisiert: „In unserem vernetzten Ansatz ergänzen sich zivile und militärische Instrumente. Vorrang hat die Ausrichtung auf präventive Problemlösung. Dabei kommt unserem Engagement zur Befähigung von Partnern, Konflikte selbständig zu bewältigen und für ihre nationale und regionale Sicherheit zu sorgen, besondere Bedeutung zu – wo immer möglich eingebettet in einen umfassenden Ansatz einer Sicherheitssektorreform. Im Vordergrund stehen Ausbildung sowie Unterstützung und Beratung beim Kapazitätsaufbau“.

10 Sahelpolitik: Reaktion auf die Polemik der Informationsstelle Militarisierung gegen AEI, veröffentlicht unter: https://afrique-europe-interact.net/1856-0-AEI-Erste-Reaktion-auf-IMI-03-2020.html. Der Text erreichte uns mit einem ebenfalls gereizten Antext als Mail mit dem Betreff „Öffentlicher Kommentar zu Marischkas Polemik gegen AEI“ am 27. März 2020, in diesem Fall unterzeichnet von einer „Mali-AG von Afrique-Europe-Interact“.

11 So der „Offene Brief von AEI an Bundesregierung und Bundestag“ vom 16. Februar, veröffentlicht unter https://afrique-europe-interact.net/1852-0-Brief-an-Bundesregierung-02-2020.html.

12 Kein Volk, kein Staat – Bevölkerung und Militär im Sahel, veröffentlicht unter https://ffm-online.org.

13 Bruno Charbonneau: „Counterinsurgency governance in the Sahel“, Bulletin FrancoPaix Vol. 5, n° 1, https://ffm-online.org/wp-content/uploads/2020/04/Charbonneau-Bulletin-FrancoPaix-vol5n1_eng.pdf.