Zur politischen Marginalisierung Afrikas

Text aus der aktuellen Zeitung von Afrique-Europe-Interact  

Koloniales Erbe
Zur politischen Marginalisierung Afrikas

Afrique-Europe-Interact kann sich über mangelnden Zuspruch seitens der kritischen Öffentlichkeit nicht beklagen. Gleichwohl ist in der alltäglichen Arbeit so etwas wie eine gläserne Decke deutlich spürbar: Die von unserem Netzwerk aufgebaute Kooperation zwischen afrikanischen und europäischen Basisinitiativen wird zwar gutgeheißen – insbesondere der Versuch, südliche Perspektiven bzw. Positionen in Europa stärker zur Geltung zu bringen. Doch praktisch sich einbringen wollen nur die wenigsten, vor allem wenn es darum geht, zusammen mit Organisationen aus afrikanischen Ländern politischen Druck aufzubauen – ob hierzulande oder in Afrika.Stattdessen wird die konkrete Auseinandersetzung mit afrikanisch-europäischen Fragestellungen – und somit der Nord-Süd-Problematik als ganzer – meist an NGO, Kirchen oder spezialisierte (Expert_innen-)Netzwerke delegiert. Drei aktuelle Beispiele mögen das illustrieren: Während für die Proteste gegen das neoliberale Freihandelsabkommen TTIP Hunderttausende mobilisiert werden konnten, hat sich in den vergangenen Jahren kein einziges Mal ein breites gesellschaftliches Bündnis formiert, das öffentlichkeitswirksam gegen die desaströsen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zwischen Europa und Afrika Stellung bezogen hätte – besser bekannt als EPA-Verträge (Economic Partnership Agreements). Ähnlich bei der weiterhin äußerst zugespitzten Hungerkatastrophe in Ostafrika: Obwohl seit Monaten regelmäßig Spendenaufrufe und Hintergrundberichte in den Medien zirkulieren, sind die erforderlichen Nothilfegelder bislang nicht zusammengekommen. Dabei scheinen die zahlreichen Hinweise auf den akut drohenden Hungertod zehntausender Menschen selbst in großen Teilen der gesellschaftlichen Linken zu verpuffen – von einer etwas breiter geführten Debatte über die strukturellen Hintergründe des Hungers ganz zu schweigen. Und gleiches gilt auch für Togo: Obwohl Sicherheitskräfte des westafrikanischen Landes brutal auf die derzeitigen Massenproteste gegen die seit 50 Jahren währende Familiendiktatur des Eyadéma-Clans reagieren, zeigt sich in Europa fast ausschließlich die togolesische Diaspora solidarisch. Kein Wunder also, dass die deutsche Bundesregierung auf der Webseite des Auswärtigen Amtes weiterhin „den Demokratisierungs-, Versöhnungs- und Reformprozess in Togo“ lobt, nachdem bereits Ende 2012 die deutsche Entwicklungszusammenarbeit nach fast 20-jähriger Suspendierung wieder aufgenommen wurde.

Dekolonisierung tut Not
Vieles spricht dafür, dass diese oftmals mit Händen greifbare Distanz ein Erbe des Kolonialismus ist. Und zwar ungeachtet dessen, dass der auf Afrika gemünzte öffentliche Diskurs in den letzten Jahren deutlich kritischer und differenzierter geworden ist – auch, weil sich die Beschäftigung mit Kolonialismus und rassistischen Kontinuitäten intensiviert hat. Doch kritisches Denken und praktisches Handeln sind offenkundig nicht das gleiche, zumal die bisweilen apokalyptisch anmutenden Lebensverhältnisse im Süden des Globus die Menschen in den reichen Industrieländern schon seit den 1990er Jahren nicht mehr auf die Straße treiben. Wenn überhaupt, sind es nur noch Einzelpersönlichkeiten wie der ehemalige UN-Sondergesandte für das Recht auf Nahrung, Jean Ziegler, der mit der angebrachten Verve Klartext redet, etwa wenn er den Umstand geißelt, dass jedes verhungerte Kind ein ermordetes Kind sei.

Im Falle von Afrika kommt noch erschwerend hinzu, dass die mediale Berichterstattung marginal und zudem auf einige wenige Länder beschränkt ist. So berichtet der Medienwissenschaftler Lutz Mücke in einer Studie, dass knapp die Hälfte der Afrika-Redakteur_innen in den führenden Medienhäusern in Deutschland für sämtliche 48 Länder Subsahara-Afrikas zuständig sei. Für Afrique-Europe-Interact ist das der Grund, weshalb wir eine Dekolonisierung nicht nur des Denkens, sondern auch der politischen Praxis anstreben. Denn der allenthalben fehlende intellektuelle, politische und persönliche Bezug zu Akteur_innen in bzw. aus Afrika dürfte eine der entscheidenden Voraussetzungen dafür sein, dass westliche Unternehmen und Regierungen vergleichsweise geräuscharm die tief im Kolonialismus verankerten Dominanz- und Ausbeutungsverhältnisse in Afrika aufrechterhalten können – meist in enger Abstimmung mit afrikanischen Regierungseliten.

Zeitung von Afrique-Europe-Interact: Analysen, Informationen, Debatte // Hrsg. von Afrique-Europe-Interact //Winter 2017/2018// Nr. 8
Die Zeitung kann bei Interesse gerne kostenlos bei nolagerbremen@yahoo.de bestellt werden, gerne auch in größerer Zahl zum Weiterverteilen oder Auslegen.

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